Die zu Chile gehörende Osterinsel übt auf viele Leute eine magische Anziehung aus. Ist es ihr Name, den sie ihrer Entdeckung am Ostersonntag 1722 verdankt? Oder ist es ihre Lage als Insel, die am weitesten vom Festland entfernt liegt, nämlich 3’800 km? Weit eher sind es die riesigen Skulpturen aus Vulkangestein, die „Moai“, die unübersehbar überall auf der nur 179 km2 grossen Insel herumliegen oder stehen.
Als Besucher von „Rapa Nui“, wie die Osterinsel von den Einheimischen genannt wird, trifft man auf den täglichen Wanderungen stets auf neu auf unzählige Moai. Bis auf wenige im 20. Jh. mit ausländischer Hilfe wieder aufgerichtete, liegen alle der bis zu 12m grossen Statuen mit dem Gesicht nach unten auf der Erde, manche zerbrochen, der rote Hut oder Haarknoten oft weit weggerollt.
Während die umstehenden Touristen vor allem die Frage erörtern, wie die Eingeborenen diese riesigen Monumente transportiert und aufgerichtet haben, beschäftigen mich die Hintergründe dieser Anstrengungen und deren Folgen.
Die Eingeborenenstämme sollen die Moai als Denkmal für Häuptlinge und andere herausragende Männer errichtet haben, damit deren „Mana“, also deren Charisma und positiven Kräfte auf sie kommen möge.
Die zuerst kleineren Monumente wurden im Laufe der Zeit zunehmend grösser gefertigt, wohl aus einem gewissen Wettbewerb mit anderen Stämmen heraus, sicher auch, weil man sich von grösseren Statuen eine grössere Wirkung erhoffte. Und nicht zuletzt erhöhte wohl die Grösse des Moai den Glanz des eigenen Ansehens.
Aus meinen Erinnerungen taucht das riesige Denkmal auf dem „Kyffhäuser“ in Thüringen auf, welches Ende des 19. Jh. im Andenken an die Gründung des Deutschen Reichs errichtet wurde. Auch meine damaligen Gefühle, melden sich: Ich war weniger beeindruckt als vielmehr erschrocken und verwirrt ob dieser kolossalen Monumentalität, welche den Grössenwahn des Dritten Reichs bereits anzudeuten schien.
Die Bewohner von Rapa Nui fertigten nun also ihre Moai in immer grösseren Ausmassen und immer zahlreicher an. 887 dieser Monumente sind bis heute registriert. Mit den einfachen verfügbaren Werkzeugen bedeutete dies einen immensen Arbeitsaufwand. So blieb den Inselbewohnern wohl kaum Zeit, ihre Felder zu bestellen und auf Fischgang zu gehen. Auch der mühsame Transport der mehrere Tonnen schweren Moai über viele Kilometer und deren Aufrichten war nicht einfach zu bewerkstelligen. Baumstämme dienten als Rollen und als Gerüste.
Der Zusammenbruch kam unvermutet im 19. Jh. Plötzlich gab es keine Bäume mehr! Es konnten keine Fischerboote mehr gefertigt werden. Dadurch fehlte die Hauptnahrung. Die Felder waren schon lange vernachlässigt worden. Durch den Raubbau am Wald war der Boden durch den starken Wind noch mehr erodiert und zur nutzlosen Grassteppe geworden. Eine Hungersnot brach aus. Die Stämme begannen sich gegenseitig um Nahrung zu bekriegen. Kannibalismus machte sich breit. Die Bevölkerung verminderte sich drastisch. In dieser Zeit wurden die Moai umgestossen. Die Wut auf die Statuen muss grenzenlos gewesen sein: Hunderte der tonnenschweren, fest verankerten Denkmäler wurden ohne technische Hilfsmittel umgestossen. Eine Riesenarbeit! Und so liegen sie nun – zur Touristenattraktion geworden, die vielerlei Fantasien auf sich zieht – als stumme Zeugen von Masslosigkeit, Selbstüberschätzung und Grössenwahn und deren Folgen mit dem Gesicht nach unten in Sand und Staub.