Primarschule – wohin?

Ein Wirt erzählt mir, ein Bekannter habe kürzlich ungewohnterweise schon vormittags zum Kaffee einen doppelten Grappa bestellt und dazu erklärt, er komme eben vom Schulbesuch bei seinem Enkel und sei von diesem Durcheinander völlig erschlagen. Diese Episode zeigt, dass langsam auch schulfernen Bürgern bewusst wird, dass der Betrieb an den heutigen Volksschulen weit von ihren Vorstellungen entfernt ist. In der landläufigen Vorstellung werden unsere Schüler von einer Lehrkraft vor allem in Rechnen und Sprache unterrichtet werden.

Zu viele Lehrer in einer Klasse

Diese Vorstellung ist falsch: Längst werden unsere Schüler nicht mehr von einem Klassenlehrer betreut, in vielen Fällen teilen sich zwei Lehrerinnen in die Aufgabe. Die Aufteilung ist gewollt: die Lehrerbildung versteht sich heute als Ausbildung zum Fachlehrer, der fähig sein soll, in sieben Fächern zu unterrichten. Das Klassenlehrermodell in der Primarschule ist in den Augen der Erziehungsdirektionen veraltet. Dabei wären die heutigen Kinder, die oft aus Patchwork- oder Einzelerzieher-Familien kommen, besonders auf eine stabile Beziehung zur Lehrperson angewiesen.

Zu den zwei Hauptlehrern kommen oft zwei Lehrkräfte für die beiden Fremdsprachen Englisch und Französisch und je eine für Musik, Turnen, Schwimmen, eine Heilpädagogin, eine Logopädin, eine Lehrkraft für Fremdsprachige und eine oder mehrere Lernhilfen. Auch ein Psychologe und eine Schulsozialarbeiterin gehören dazu. Dass alle sich absprechen müssen, erklärt die vielen Sitzungen und den immensen administrativen Aufwand.

Keine Sonderklassen mehr

Aus ideologischen Gründen darf es keine Sonderklassen für Verhaltensauffällige oder für Schüler mit Lernschwierigkeiten mehr geben, obwohl diese dort gezielt und ausschliesslich von Fachpersonen gefördert werden. Darum müssen Sonderpädagogen für die Schwächeren stundenweise ins allgemeine Schulzimmer kommen. So werden unsere Schüler von all diesen Lehrkräften meist gleichzeitig im gleichen Raum unterrichtet! Im «integrativen» Unterricht unterrichtet während einer Lektion die verantwortliche Lehrkraft, während sich eine Logopädin um die Legastheniker, eine Heilpädagogin ums psychisch angeschlagene und eine Lernhilfe ums schwach begabte Kind kümmern. Wer wundert sich über die Klage, die Kinder hörten nicht mehr zu, ihre Konzentration lasse zu wünschen übrig?

Von den Lehrern wird Unmögliches verlangt

Zusätzlich zu diesen falsch verstandenen „Gleichheits-Ideen“ besteht der Anspruch an die Lehrkräfte, sie hätten jedes Kind auch fachlich individuell zu fördern. So haben die Kinder, z.B. während einer Sprachlektion, je verschiedene Aufgaben zu lösen. Da diese verschiedenen Aufgaben zum Teil auch im Team gelöst werden sollen, ergibt sich die Situation, dass vier Kinder im Korridor ihre Aufgaben lösen, weitere sechs im Nebenzimmer arbeiten, drei am Computer sitzen, vier im Kreis mit einer Logopädin am Boden kauern, ein Kind von einer «Aufgabenhilfe» Stützunterricht erhält, während die restlichen in zwei Gruppen verteilt an ihren Tischen schreiben und diskutieren. Die unterrichtende Lehrkraft ist dabei für jedermann Ansprech- und Auskunftsperson. Eine ungeheure Aufgabe!

Von den Lehrern wird fast Unmögliches verlangt: Sie sollen in einer Klasse von 26 Schülern nicht nur jeden einzeln fördern, sondern ihn in jedem Fach «individuell unterrichten», was schlicht unmöglich ist. Daneben wird von ihnen auch verlangt, die Koordination mit den verschiedenen Spezial-Pädagogen im Schulzimmer sicher zu stellen und den Anforderungen des Schulleiters Folge zu leisten.

Ideologien statt Realität

Wie ist es zur Misere gekommen? Man hat sich von Ideologien statt von der Realität leiten lassen. Der Hauptirrtum besteht im Leitsatz: «Alle Menschen sind gleich.» Das entspricht nicht der Realität. Aber der Grundsatz: «Alle Menschen sind gleichwertig» sollte ernstgenommen werden, auch in der Schule! Wenn wir jeden Menschen mit den ihm eigenen Fähigkeiten und Sonderbegabungen achten, fördern wir ihn am besten, indem wir ihn so schulen, wie es ihm entspricht. Notfalls auch in Sonderklassen oder speziellen Schulen, wo ihm sein «Anderssein» nicht immer wieder demütigend vor Augen geführt wird, wie das heute innerhalb seiner Klasse ist, wo er eine Sonderbetreuung braucht. Ohne diesen verwirrenden Betrieb der „integrativen“ Förderung könnten auch unsere «normalen» Schüler sich besser konzentrieren, mehr gefordert und vertiefter unterrichtet werden.

Schule als Lebensschule

Schule soll den Schülern ermöglichen, später ihr Leben ihren Fähigkeiten und Begabungen gemäss zu meistern. Dazu sollte sie den Schülern wichtiges Wissen vermitteln und sie in allen Fertigkeiten ausbilden, die sie als Erwachsene benötigen und die sie sich nicht selber aneignen können. Dazu gehören traditionelle Fertigkeiten wie etwa Lesen, Rechnen oder auch logisches Denken. Selbständigkeit, Freude an der eigenen Leistung, Selbstvertrauen, die Fähigkeit, Schwierigkeiten zu überwinden und zu meistern, entwickeln sich, wenn Fleiss, Ausdauer, Ernsthaftigkeit in der Arbeitshaltung und Pünktlichkeit geschult werden.

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