THOMAS PLATTER 1499 – 1582 Eine Kindheit und Jugend im späten Mittelalter

In Basel lebte im 16. Jahrhundert ein bedeutender Humanist: Thomas Platter. Er war berühmt für seinen Latein-, Hebräisch- und Griechischunterricht und hatte eine Schule mit Internat für Zöglinge aus der ganzen Schweiz und der weiteren Umgebung gegründet, den Vorläufer des heutigen humanistischen Gymnasiums in Basel.

In seiner von ihm gegründeten Druckerei druckte er 1536 die erste lateinische Ausgabe der „Institutio Chritianae Religionis“ des Reformators Calvin, welche die Welt veränderte. Durch seine rastlosen Tätigkeiten brachte es Prof. Platter  zu einem gewissen Reichtum: Er besass nicht nur ein Haus an guter Adresse in der Stadt Basel, sondern auch ein Landgut ausserhalb, dessen Haus heute noch in Gundeldingen steht. Seine Lebensbeschreibung gilt als eine der bedeutendsten Autobiographien des 16. Jhr. Hier eine Beschreibung seiner Kindheit.

Ziegen hüten

In eine ursprünglich angesehene, aber total verarmte Familie wird Thomas Platter im Jahr 1499 in Grächen im Wallis geboren. Vater Platter hatte seine Schulden nicht bezahlen können (wahrscheinlich hatte er von einem Wucherer Geld aufgenommen um Wolle zu kaufen, die die Frauen zuhause verspannen und verwebten) und mit seiner Familie das Stammhaus verlassen müssen. Früh stirbt er an der Pest.

Mit sieben Jahren wird Thomas zu einer Tante gegeben, die ihn schon bald mit anderen Kindern zum Ziegenhüten in die Berge schickt. Dort gilt es, die Ziegen zusammenzuhalten, ihnen notfalls nachzusteigen, immer voller Angst, abzustürzen oder Aasgeiern, Wölfen oder Bären zu begegnen. Die Gegend ist im Sommer so trocken, dass die Kinder gegen den Durst ihren eigenen Urin trinken. Und in der Übergangszeit wird es auf über 2000m empfindlich kalt und die Kleidung ist mangelhaft. Thomas besitzt bis ins Teenageralter keine Hose. Die Strohsäcke, auf denen Kinder und Erwachsene schlafen, wimmeln von Läusen (Typhusüberträger) und Wanzen.

Etwas Geld verdienen die Kinder indem sie auf Kristallsuche gehen. Im Gegensatz zu heute sind die Kinder damals ab ihren frühen Kinderjahren auf sich selbst gestellt und müssen sich ihren kärglichen Lebensunterhalt selbst erarbeiten.

Die Bestimmung zum Priester

An einem kirchlichen Feiertag hat der Bischof – es ist der spätere mächtige Kardinal Schiner – den 3jährigen Thomas angesprochen und, da er keck und aufgeweckt antwortet, ihm ein Leben als Priester vorgeschlagen, was von Verwandten und Bekannten als Bestimmung verstanden wird. Zu jener Zeit war die Ausbildung zum Priester die einzige Möglichkeit, eine Intellektuelle Tätigkeit ausüben zu können. So kommt Thomas mit etwa 10 Jahren zu einem entfernt verwandten Priester, der ihn ausbilden soll, selber aber herzlich wenig weiss.

Mit einem Goldstück auf Wanderschaft

Nach kurzer Zeit drückt ihm sein Mentor ein Goldstück in die Hand und schickt ihn auf Wanderschaft. Thomas schliesst sich einem älteren Vetter an, der zusammen mit andern Knaben verschiedenen Alters durch halb Europa zieht. Die Kinder sind schlecht gekleidet, haben keine Schuhe, kein Geld; sie erleiden Hunger, Durst, Kälte. Sie haben sich zur Bande zuammengeschlossen: Die Älteren befehlen, nützen die Kleinen aus, beschützen sie aber auch gegen aussen. Die Kinder stehlen was sie finden: Gemüse, Früchte von den Feldern, Gänse erlegen sie z. T. im Flug, Fische fangen sie aus Bächen und Teichen. In den Städten betteln sie um Essen, Kleider, Schulgeld. Thomas Walliser Dialekt rührt die Herzen, „Die Schweizer“ allgemein geniessen Mitleid und Sympathie: Man hat von ihrer Niederlage bei Marignano 1515 gehört, wie sie grausam niedergemetzelt wurden.

Doch die Älteren der Bande verlangen das erbettelte Geld für sich. Ohne Geld keine Schule. Deshalb gelingt es den Buben nur selten, eine Schule zu besuchen.

Über Bayern nach Preussen und Ungarn

Sie durchqueren die Ostschweiz, Bayern, Franken, Preussen, Sachsen, Schlesien, Ungarn, ernähren sich tagelang nur von Zwiebeln, Eicheln, wilden Äpfeln. Da sie stehlen was sie finden, werden sie oft verfolgt. In den weiten Wäldern Thüringens und Schlesiens lauern Wegelagerer mit Armbrust und Knüppeln bewehrt……

In einigen Städten versuchen die örtlichen Lehrer die herumziehenden verwahrlosten Kinder in die Schule zu zwingen. Der Unterricht besteht hauptsächlich aus Diktat und Gesang. Doch Thomas kann nicht lesen und nicht schreiben, und Heft besitzt er auch keines. Aber er kann sich nun Student nennen und seine Bettelei mit Gesang unterstützen. Selten findet er Herberge bei einem mitleidigen Bürger, meistens lebt er auf der Gasse, im Rudel mit den andern Jungen.

Erst als 21jähriger – nach 10 Wanderjahren durch halb Europa – lernt er in der Schule von Schlettstadt im Elsass endlich lesen, lateinisch natürlich; ganze Werke müssen auswendig gelernt werden.

In der Schule und bei Herbergsleuten hört er von Martin Luther, vom Reichstag zu Worms 1521. Er beginnt sich für die Reformation zu interessieren. Dann kehrt Thomas zurück in die Schweiz, auch ins Wallis.

Thomas Platter lernt Griechisch und Hebräisch

Jetzt ist sein Lerneifer erwacht, er lernt selbständig schreiben. In Zürich findet er u.a. Unterschlupf bei einer „Puffmutter“ und geht bei einem Seiler zur Lehre. Als Eintrittsgeld muss er diesem einen Zentner Hanf liefern, den er mit einem Teil seines Erbes (seine Mutter ist gestorben) bezahlt. In der Nacht lernt Thomas Griechisch und Hebräisch. Um nicht einzuschlafen, kaut er Sand und Kieselsteine. Auch arbeitet er als Kustos am Fraumünster: Er muss die Kirche heizen und während der Messe singen. Mit dieser Arbeit kommt er wieder mit der Theologie in Berührung.

Die Reformation

Zwingli ist am Grossmünster tätig. Immer wird Thomas Platter von der Reformation beeinflusst. Er betätigt sich als heimlicher Bote zwischen dem Grossmünster in Zürich und der „Disputation in Baden“ (Öffentliches Streitgespräch über die Religion). Wir erinnern uns an den Hinweis vom damaligen Bischof und späteren Kardinal Schiner: Priester sollte Thomas Platter werden. Deshalb ist er jahrelang für eine Schulbildung in Europa umhergezogen. Und jetzt, da er endlich lesen und schreiben kann, wird er zum Ketzer, zum Reformierten.

Platter zieht nach Basel

Als gut 25jähriger zieht Platter nach Basel, wo er als Seiler arbeitet und stundenweise Hebräisch unterrichtet. In einer Zeit reger geistiger Auseinandersetzungen hält er schon bald in der Basler Pfarrschule St. Leonhard die Hauptvorlesung vor ganzen Klassen von „Hebraisten“, und beginnt damit seine jahrzehntelange erfolgreiche vorbildliche Lehrtätigkeit..

Die Geschichte von Thomas Platter geht weiter. 1572 – im Alter von 73 Jahren – diktiert er seine Erlebnisse seinem Sohn Felix auf Baseldeutsch. Der französische Historiker Emmanuel Le Roy Ladurie hat diese Notizen zusammengefasst und 1995 als Buch unter dem Titel „Le Siècle des Platter, 1499-1628“ herausgegeben.

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