Fragen an Silvia Blocher zu Schule, Erziehung und Wertevermittlung gestern und heute

veröffentlicht in idea Schweiz – spektrum 01.09.2010 / Andrea Vonlanthen

 „Spektrum“: Im Coop brüllt der zweijährige Knirps los, weil ihm das Mami einfach kein Glace kaufen will. Was raten Sie dem Mami?

Silvia Blocher: Ich begreife, dass das dem Mami unangenehm ist. Alle schauen hin! Zuerst würde ich versuchen, das Kind abzulenken. Wenn das nichts nützt, dann halt möglichst rasch an die Kasse gehen und raus! Wenn man dem Kind gesagt hat, dass es kein Glace gibt, dann soll man auf jeden Fall konsequent bleiben.

Überall herrscht Lehrermangel, ehemalige Lehrerinnen sind gefragt. Wann werden Sie wieder Schule geben?

Ich bin 65, das ist abgeschlossen. Doch der Umgang mit Kindern macht mir immer noch viel Freude. Es ist spannend mit Kindern, gerade auch mit unsern Enkeln, zusammenzusein, auf sie einzugehen, ihnen etwas zu vermitteln. Aber ins Schulzimmer zurück möchte ich heute nicht mehr. 

Warum schalten Sie sich als siebenfache Grossmutter immer wieder in die öffentliche Diskussion um Bildung und Erziehung ein?

Bildung und Erziehung sind mir ein zentrales Anliegen. In der Demokratie ist die Bildung der Bürger noch wichtiger als in andern Staaten. Wer viel mitreden kann, muss viel wissen und die Zusammenhänge kennen. Für mich ist aber auch sehr wichtig, dass wir eine gute Volksschule haben. Jedes Kind soll die gleichen Möglichkeiten haben, eine gute Bildung und möglichst viel Wissen zu bekommen.

Warum sind Ihre vier Kinder gut herausgekommen?

(stutzt) Was soll ich da sagen? Da gibt es keine einfache Antwort. Wir haben als Eltern versucht, unsere Kinder nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen. Wir haben sie in die Volksschule geschickt. Sie sollten in eine ganz normale Schule gehen, zusammen mit den verschiedensten Kindern. Doch in der Erziehung braucht es immer auch Glück.

Welche Rolle spielte der Vater bei der Erziehung ihrer Kinder?

Mein Mann war nicht wahnsinnig viel daheim. Doch wenn er da war, dann war er auch als Vater da, besonders an Wochenenden und in den Ferien. Da wurden auch Spiele und allerlei Dummheiten gemacht, was eben dazugehört. Wenn immer möglich assen wir täglich alle miteinander Zmorge. Das war unsere gemeinsame Mahlzeit. Mein Mann hat beim Essen immer viel erzählt von dem, was er gemacht und erlebt hat, sei es im Beruf oder in der Politik. Wir führten wirklich ein Familienleben. Es war uns wichtiger als das Gesellschaftsleben.

Was kommt auf eine Gesellschaft zu, die immer vaterloser wird?

Grundsätzlich hat ja jedes Kind einen Vater und eine Mutter. So ist es von der Natur bestimmt. Es ist darum auch die Aufgabe beider Elternteile, das Kind zu erziehen. Natürlich kann man unverschuldet zum Alleinerziehenden werden. Doch heute werden die Alleinerziehenden regelrecht verherrlicht. Das ist eine falsche Entwicklung, die leider auch vom Staat gefördert wird. Genau gleich wie die Ehe wird auch die intakte Familie immer weniger geschätzt. Dabei ist es die Familie, die dem Kind Halt und Geborgenheit gibt. Hier kann es Wurzeln für sein Leben bilden und Vertrauen gewinnen. Wo das nicht möglich ist, wo ein Elternteil fehlt, hat es das Kind in seiner Entwicklung sicher schwerer.

Welche Werte wollten Sie Ihren Kindern vor allem vermitteln?

Ziel der Erziehung ist, das Kind unversehrt ins Erwachsenenleben zu begleiten, so dass es sich den Herausforderungen des Lebens stellen und sich selbständig darin bewähren kann.

Erziehung heisst also, das Kind seinen Anlagen und seinem Alter gemäss zu fördern und auszubilden. Und zwar in seinen Gedanken, seinen Gefühlen, in seinem Umgang mit anderen Menschen, mit Tieren, Pflanzen, Dingen. Achtung vor sich selber und der Umwelt, verantwortungsvoll, kritisch und selbstbewusst sein, aber auch das handwerkliche Geschick ist wichtig. Erziehung ist unglaublich vielseitig. Liebe, Vertrauen, Wärme, Rücksichtnahme, Hinhören und Mitfühlen, all das gehört dazu und wird vor allem durch das Vorbild vermittelt.

Wie haben Sie Werte vermittelt?

Vor allem durchs Vorleben und Miteinander-Erleben. Kinder lernen im täglichen Leben, was es zum Beispiel heisst, Rücksicht zu nehmen. Oder beim Spielen, zum Beispiel bei „Eile mit Weile“, lernen sie verlieren. Entsprechend ihrem Alter kann man sie anleiten, selbständig zu denken und zu handeln. Zum Erziehen gehört auch Regeln und Grenzen setzen. Aber Regeln, die man aufstellt, müssen eingehalten werden. Auch beim älteren Kind, beim Jugendlichen, darf man sich nicht scheuen, Nein zu sagen. Erziehung wird beim älteren Kind nicht einfacher. Trotz und Auflehnung melden sich. Spasshaft sage ich immer: „Schaut, dass Ihr die Erziehung mit 12 abgeschlossen habt.“ Bei Jugendlichen kann es übrigens hilfreich sein, wenn man die Regeln gemeinsam mit ihnen aufstellt.

Im Buch „Das Blocher-Prinzip“ erzählt Ihr Mann, Ihre Kinder hätten nachts auch einmal von Zürich nach Hause gehen müssen, wenn sie den letzten Zug verpasst hatten…

Das war mein Mann, der das bestimmt hatte. Das war schon etwas hart. Ein anderes Beispiel: Eine unserer Töchter war als Teenager extrem auf ihre Selbständigkeit bedacht. Sie wollte einfach nicht mehr sagen, wohin sie in den Ausgang ging. Wir trafen dann die Abmachung, dass sie aufschreibt, wohin sie geht und den Zettel in einem verschlossenen Couvert auf den Tisch legt. Wir hätten das Couvert öffnen können, wenn sie nicht rechtzeitig nach Hause gekommen wäre. Das hat funktioniert.

Gab es für Ihre Kinder tägliche Gute-Nacht-Geschichten und Gebete?

Ja, wir haben auch am Tisch gebetet. Abends, wenn die Kinder zu Bett gingen, haben wir gesungen und frei gebetet. Wir sangen „Der Tag ist vergangen“, „Der Mond ist aufgegangen“ und andere Lieder. Es gab Geschichten aus verschiedenen Bilderbüchern, auch biblische Geschichten. Ich habe ja in Meilen selber fünf Jahre lang Sonntagsschule gegeben. Damals habe ich all die biblischen Geschichten auf Mundart aufgeschrieben, ich habe sie heute noch. In meiner Sonntagschulklasse hatte es viele Buben, unser Sohn war auch dabei. Am Weihnachtsspiel durften die Knaben die Soldaten spielen, davon waren sie natürlich hell begeistert. War übrigens nicht so einfach Soldaten und „Friede auf Erde“ zusammenzubringen… 

Gab es Lieblingsgeschichten aus der Bibel für Sie?

Oh, diese Geschichten sind alle sehr interessant. Ich denke an die Schöpfungsgeschichte, an Jonas, an Ruth beim Ähren sammeln, an Paulus – die Apostelgeschichte ist ja wahnsinnig spannend -, aber auch an viele Jesus-Geschichten.

Christliche Privatschulen haben wachsenden Zulauf. Eine positive Entwicklung?

Ich bin grundsätzlich für die Volksschule, denn alle Kinder sollen die gleichen Chancen für eine gute Bildung haben. Doch wenn ich an die Entwicklung unserer Volksschule denke, verstehe ich heute alle Eltern, die ihre Kinder in eine Privatschule schicken.

Welche Entwicklung macht Ihnen denn Mühe?

Die Schule hat sich weit entfernt vom Auftrag, den Kindern Grundkenntnisse beizubringen, die sie für ihr späteres Leben brauchen. Die Schule ist zum Vergnügungszentrum geworden, in dem der Lehrer als der beste gilt, der am meisten Unterhaltung bietet. Von eigentlichen Lernzielen ist diese Schule weit weg. Und im heute propagierten integrativen Unterricht werden Konzentrationsstörungen und eine Laissez-faire-Haltung im Schulbetrieb geradezu gefördert.

Welche Reform bräuchte unsere Schule zuerst?

Zurück zum eigentlichen Auftrag! Überlegen, was die Schüler wirklich wissen und können sollten. Klare Lernziele formulieren, nicht gleich jeder Modeströmung nachrennen. Und kindgerecht unterrichten.

Darum wird ja eine konsequente Individualisierung gefordert und gepflegt.

Gefordert schon. Doch das ist nicht möglich, wenn 26 Kinder mit verschiedenen Muttersprachen und kulturellen Hintergründen in der Klasse sitzen und man erst noch eine integrative Schule mit allen verhaltensauffälligen, allen schwachen und behinderten Kindern in der gleichen Regelklasse will. Allzu oft wird zudem nicht kindgerecht, sondern kindisch unterrichtet und pädagogische Effekthascherei betrieben.

Braucht unsere Schule eine Renaissance der christlichen Werte?

Wir müssen uns wieder bewusst werden, dass unser Staat, unsere ganze Kultur von der christlichen Kultur geprägt ist. Trotz den vielen Andersgläubigen sollte auch unsere Schule  die christlichen Werte hochhalten und zu ihnen stehen. Kinder sollen die Weihnachtsgeschichte hören und echte Weihnachtslieder singen dürfen, die von der Geburt Jesus erzählen und nicht nur vom Mailänderli-Backen und vom Tannenbaum.

Was geschieht mit einer Schule, die Gott nicht mehr kennt?

Wir müssen uns sogar fragen: Was passiert mit einer Gesellschaft ohne Gott? Es ist eine arme Gesellschaft, die Gott nicht mehr kennt. Wenn wir überzeugt sind, dass das Evangelium eine gute, frohe Botschaft ist, dann ist es ein grosser Verlust, wenn man es nicht kennt. Wie kann man leben ohne den bedingungslosen Zuspruch Gottes? Wenn das in der Schule kaum mehr vermittelt wird, sollten es wenigstens die Eltern und die Kirchen tun.

In den Medien wurden fromme Studenten an den Pädagogischen Hochschulen und fromme Lehrer letztes Jahr als Gefahr für die Kinder hingestellt. Wo sehen Sie die Gefahr?

Die Beeinflussung der Kinder durch ihre Lehrer ist grundsätzlich eine Gefahr. Doch zurzeit ist die Indoktrination durch die kantonalen Erziehungsdirektoren und die Bildungsexperten sicher am grössten. Sie bescheren uns eine Schule nach sozialistischen Maximen mit ihren ideologischen Theorien. Wenn man selber indoktriniert, hat man wohl mehr Angst vor Beeinflussung durch andere. Wenn Studenten und Lehrer christliche Werte fördern wollen und dies nicht missbräuchlich tun, ist es schlicht ein Blödsinn, von Gefahr zu reden, es sei denn man möchte selber das Gegenteil.

Welche Rolle sollte denn die Kirche in unserer Gesellschaft wahrnehmen?

Im Grunde soll sie nichts anderes tun, als die Gnade Gottes verkünden. Diesen Auftrag Jesu soll die Kirche so gut und nicht so bequem wie möglich wahrnehmen. Dann wird der liebe Gott schon auch das Gelingen schenken. Wer an die göttliche Botschaft  glaubt, muss darum keine Bange haben. Doch in der Kirche lebt man heute wie in der Schule von und mit vielen Ideologien und statt den Auftrag zu erfüllen, verliert man sich lieber in Events.

Wo würden Sie ansetzen, wenn Sie Zürcher Erziehungsdirektorin wären?

Ich würde zuerst die ganze Gleichmacherideologie und Gutmenschen-Pädagogik abschaffen. Ich würde den Auftrag der Schule neu formulieren und dann die Lernziele und die Ausbildung von Lehrern und Schülern danach ausrichten.

Die Schule leidet offensichtlich auch unter den veränderten Familienstrukturen. Wie könnte die traditionelle Familie gestärkt werden?

Heute fördert der Staat die Entfremdung zwischen Eltern und Kindern, indem er die externe Betreuung und die Erziehung durch den Staat unterstützt. Mit seiner Steuerpraxis benachteiligt er traditionelle Familien zusätzlich. Diese Ungerechtigkeit muss wegfallen. Wir brauchen auch wieder mehr dezentrale Schulhäuser. Die Kinder sollen nahe bei ihren Eltern unterrichtet werden. Das Kindererziehen ist nicht Aufgabe von Staatsbeamten!! Nur Diktaturen nehmen den Eltern die Kinder möglichst früh weg, damit sie sie in ihrem Sinn beeinflussen können. Wer eine Ersatzmutter braucht, muss sich selber darum kümmern und dafür auch die Verantwortung übernehmen.

Wie könnte Eltern, die mit der Erziehungsaufgabe überfordert sind, geholfen werden?

Zuerst braucht es in der Kinderbetreuung ein Umdenken. Heute will der Staat alle Kinder betreuen und erziehen. Doch der Staat sollte erst dann zum Zug kommen, wenn die Eltern selber nicht fähig sind, die Kinder zu erziehen. Das gäbe ein Umdenken, wenn sich die Eltern sagen müssten: Ich habe versagt. Die Schule versucht ja an Elternabenden bereits, Erziehungstipps zu vermitteln. Doch das ist ein schwieriges Kapitel, weil es immer mehr bildungsferne Eltern und Eltern ohne deutsche Sprachkenntnisse gibt. Vielleicht könnten  intakte Familien solche Familien unterstützen und deren Kinder stundenweise bei sich aufnehmen, oder zum Beispiel auch an einem Wochenende. Das ergäbe Kontakte zu überforderten Eltern, die dann auch konkret sehen könnten, wie man erzieht.

Was würden Sie heute anders machen als Mutter?

Wenn ich jetzt kleine Kinder hätte, würde ich einiges etwas lockerer angehen. Ich würde mich nicht gleich hintersinnen, wenn etwas nicht gelingt. Ich hätte mehr Vertrauen, dass es gut herauskommt, letztlich mehr Vertrauen in die Gnade Gottes.

Warum raten Sie einer jungen Frau trotz allen Problemen unserer Zeit, Mutter zu werden?

Der Sinn des Lebens ist das Leben. Was gibt es Schöneres, als Leben weiterzugeben?

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